Ein starkes Stück - Beckenboden im Fokus
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Von Sandra Cammann | Sportwissenschaftlerin und Freie Journalistin
Lesedauer: 7 Min.
Es ist nie zu spät: ein gezieltes Beckenbodentraining sollte zum Alltag gehören wie Zähneputzen. Denn damit verminderst du nicht nur Probleme beim Wasserlassen, sondern wirst auch selbstbewusster, stützt deine Wirbelsäule und fühlst dich rundum wohler!
Besonders Frauen kämpfen mit der ständigen Angst, es nicht schnell genug auf die Toilette zu schaffen. Geburten, Übergewicht, chronische Blasenentzündungen, Wechseljahresbeschwerden oder eine Bindegewebsschwäche können dem Beckenboden zu schaffen machen. Allerdings sind davon nicht nur Frauen betroffen – auch Männer merken mit zunehmendem Alter, dass der Boden erschlafft. Ein gezieltes Training im Alltag kann sehr schnell Abhilfe schaffen, muss jedoch fortgeführt werden.
Ich zeige dir hier, wie so ein Alltagstraining aussehen kann.
Inhalt
Was ist der Beckenboden eigentlich?
Welche Aufgabe erfüllt der Beckenboden?
Warum Beckenbodentraining?
Woran erkenne ich einen schwachen Beckenboden?
Wie trainiere ich den Beckenboden?
Ein Gefühl für den Beckenboden bekommen
Das Workout für mehr Beckenpower
Erste Hilfe bei Blasenschwäche
Was ist der Beckenboden eigentlich?
In unserem Becken befindet sich ein Muskelkomplex, der sich ausgehend vom Schambein bis zu Steißbein erstreckt und – vereinfacht ausgedrückt – zudem Querverbindungen zu Sitzbeinhöckern bildet. Das ist der Beckenboden. Darin eingebettet liegen die Harnröhre, das Rektum und – bei Frauen – die Vagina, die vom Beckenboden in ihrer Lage und Funktion unterstützt werden.
Die Beckenbodenmuskulatur ist recht komplex und besteht aus mehreren sowohl längst als auch quer gestreiften Muskelschichten sowie Fasziengewebe und Sehnen. Sie wird unterteilt in einen hinteren Beckenbodenteil, bestehend aus einem längs und quer verlaufenden Muskelgeflecht, in das das Rektum eingebettet ist, dem vorderen Beckenbodenteil, der ebenfalls längs und quer verläuft und Harnröhre sowie bei der Frau die Scheide umschließt. In diesem Bereich befindet sich zudem vermehrt Bindegewebe. Der dritte Teil des Beckenbodens, die Schwellkörper- und Schließmuskelschicht, besteht unter anderem aus einem Geflecht aus Blutgefäßen.
Welche Aufgabe erfüllt der Beckenboden?
Anatomisch kommt dem Beckenboden die wichtige Aufgabe zu, Blase, Vagina und Gebärmutter im Bachraum (ab)zustützen. Dies bezeichnet man auch als „reflektorisches Gegenhalten“, also anspannen als reflexhafte Reaktion auf den Druck, der von oben, sprich aus dem Bauchraum kommt. Das kann durch Niesen, Hüpfen, Lachen und schweres Heben ausgelöst werden.
Aber das ist noch längst nicht alles, denn wie jede Muskulatur arbeitet auch die Beckenbodenmuskulatur aktiv mit, um verschiedene Körperfunktionen aufrecht zu erhalten. Sie öffnet und verschließt durch An- und Entspannen Harnröhre, Vagina und Anus, hat also eine wichtige Funktion in Sachen Kontinenz bzw. Inkontinenz. Übrigens: Für die einwandfreie Funktion der Blase gibt es sogar einen „eignen“ Muskel innerhalb des Beckenbodens: den Harnwegsschließmuskel, der den Verschluss der Harnröhre reguliert und so eine wichtige Rolle in Sachen Inkontinenz spielt.
Last but not least sorgt eine gut funktionierende Beckenbodenmuskulatur auch für eine erhöhte Sensibilität und damit Lustempfinden beim Geschlechtsverkehr. So pulsiert der gesamte Beckenboden im Moment des Orgasmus, Anspannung und Entspannung geschehen im schnellen Wechsel und sorgen so für das gesteigerte Lustempfinden.
Alles Gründe, um sich mehr mit diesen doch eher stiefmütterlich behandelten Muskeln zu beschäftigen.
Warum Beckenbodentraining?
Wie jeder Muskel kann auch der Beckenboden nur zufriedenstellend funktionieren, wenn er trainiert ist, also stark genug ist, jederzeit die Harnwege, aber auch das Rektum zu verschließen. Ist dies nicht der Fall, kann es in verschiedenen Situationen zu größeren oder kleineren Unfällen kommen: Ein heftiges Niesen kann dann ausreichen und der Muskel „hält“ nicht mehr mit der Folge, dass sich der Harndrang nicht mehr kontrollieren lässt. Dieses als Blasenschwäche besonders bei Frauen bekannte Problem kann viele Ursachen haben.
In den meisten Fällen kommt es nach Schwangerschaft und Geburt zu einer Schwächung bzw. Überdehnung des Beckenbodens und damit auch temporärer Blasenschwäche.
Vorstellen kannst du dir das ungefähr so: Vier Knochen schließen den Beckenboden ein. Die beiden Sitzbeine, das Scham- und das Steißbein. Vom Bild erinnert das Becken an eine Schale, die sich mit Rumpf und Beinen verbindet.
In dieser Schale liegen die inneren Organe. Nach unten ist diese Schale offen. Die Organe werden lediglich von den Beckenbodenmuskeln gestützt und gehalten. Die Muskelschichten legen sich gitterförmig übereinander und bilden ein schützendes Sicherheitsnetz. Unter der Geburt müssen sich diese Muskeln tief entspannen und extrem dehnen können. Diese Dehnbarkeit erhält der Beckenboden über seine besondere Beschaffenheit: an den knöchernen Verbindungen ist der Beckenboden über Bindegewebshüllen aufgehängt wie eine Hängematte. Das macht ihn extrem elastisch, aber leider auch verletzungsanfällig.
Ist eine Verletzung entstanden, müssen andere Muskeln wie Bauch und Rücken die Arbeit des Beckenbodens übernehmen. Das geht kurze Zeit gut, ist aber auf längere Zeit gesehen ein Desaster. Die Muskeln verspannen sich, weil sie zu viel Arbeit verrichten müssen, die Wirbelsäule wird krumm und es kommt zu unphysiologischen Belastungen, die ernsthafte Schäden verursachen können. Beckenbodenmuskeln hingegen sind Alleskönner. Vorausgesetzt, sie werden richtig belastet und trainiert.
Deshalb wird meist bereits während der Schwangerschaft zu einem moderaten Beckenbodentraining geraten, um den Beckenboden für den stärker werdenden Druck im Verlauf der Schwangerschaft im wahrsten Sinne des Wortes „fit“ zu halten. Nach der Geburt sollte dann in jedem Fall im Rahmen der Rückbildungsgymnastik besonders auf die erneute Kräftigung des überdehnten Gewebes im Beckenbodenbereich geachtet werden, um die volle Funktion wieder herzustellen.
Aber nicht nur Schwangerschaft und Geburt bedingen eine Schwächung des Beckenbodens. Häufig sind es die ganz normalen Alterungsprozesse und damit einhergehend zum Beispiel die Senkung der Gebärmutter, die dann dauerhaft auf die Muskulatur drückt. Auch Hormonumstellungen im Rahmen der Wechseljahre können eine Erschlaffung der Beckenbodenmuskulatur bedingen.
Auch die vor allem von älteren Menschen gefürchtete Blasenschwäche ist meist Folge eines schwachen Beckenbodens. Die Harnblase leistet täglich Akkordarbeit. Sie füllt sich, hält den Urin und lässt ihn schließlich wieder los. Entspannen, halten, anspannen – damit die Harnröhre dicht hält, muss der Muskel gut trainiert sein. Feinste Nerven steuern diesen Mechanismus. Durch eine Störung in diesem System kommt es zu einer unangenehmen und psychisch stark belastenden Harninkontinenz. Betroffene reduzieren dann schnell ihre Flüssigkeitsaufnahme.
Ohnehin trinken viele Menschen mit zunehmendem Alter häufig zu wenig. Das hat zwangsläufig auch zur Folge, dass die Speicherfähigkeit der Blase bei einer geringeren Flüssigkeitsaufnahme abnimmt. Die Folge davon liegt klar auf der Hand: Der Muskel wird immer schwächer. Bereits bei geringen Flüssigkeitsmengen kommt es dann zum Harndrang und das Problem verschlimmert sich.
Um alle diese Probleme, vor allem aber die gefürchtete Blasenschwäche, zu vermeiden, kann und sollte die Beckenbodenmuskulatur bewusst trainiert werden. Lebenslang. Und dies gilt nicht nur für Frauen! Denn auch Männer bekommen in zunehmendem Alter die Folgen langsam erschlaffender Muskeln und schwächer werdenden Bindegewebes zu spüren.
Woran erkenne ich einen schwachen Beckenboden?
Wie bereits oben beschrieben, erkennt man einen schwachen Beckenboden daran, dass beim Niesen, Husten, Lachen, aber auch Hüpfen, manchmal sogar beim Laufen ungewollt geringe Mengen Urin abfließen. Auch Schwierigkeiten bei der Darmkontrolle weisen zunächst auf einen schwachen Beckenboden hin und können Männer wie Frauen mit zunehmendem Alter gleichermaßen betreffen.
Hinzukommen können Schmerzen im Becken-, Hoden- und Leistenbereich oder beim Toilettengang und das Gefühl einer unvollständigen Entleerung von Blase oder Darm. Ebenso deuten unspezifische Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder während des Orgasmus auf einen untrainierten Beckenboden hin.
Auch bei medizinisch nicht erklärbaren Schmerzen im unteren Rücken und in der Hüfte sollte eine Schwächung der Beckenbodenmuskeln in Erwägung gezogen werden.
Besonders deutlich wird der schwache Beckenboden bei einem Organprolaps (z.B. Gebärmuttervorfall). Hier müssen medizinische Betreuung (evtl. Operation) und Beckenbodentraining sehr genau aufeinander abgestimmt werden.
Wie trainiere ich den Beckenboden?
Wie bei jedem Training sollte auch die Beckenbodenmuskulatur gezielt und nach Plan trainiert werden. Tägliche sanfte Dehn- und Kräftigungsübungen sind die beste Möglichkeit, dauerhaft und effektiv gegen die Erschlaffung des Beckenbodens anzuarbeiten.
Allem voran steht bei vielen Frauen (und Männern), ein Bewusstsein für die Region des Beckenbodens zu schaffen, denn häufig fehlt schlichtweg die Wahrnehmung für diese Region des Körpers. Dann gelingt es wesentlich besser, die einzelnen Muskeln gezielt zusammenzuziehen und – ganz wichtig – auch bewusst wieder zu entspannen.
Dabei kommen meist spezielle Übungen aus dem Yoga und Pilates zum Einsatz, häufig abgewandelt und angepasst an die spezielle Region. Die Übungen wirken meist ganzheitlich, indem sie Bewusstsein für die Muskulatur schaffen, diese sanft stärken und dehnen.
Ein Gefühl für den Beckenboden bekommen
Widme dich 10 Minuten deiner Zeit täglich dem Beckenboden und du wirst schon bald tolle Ergebnisse erzielen. Nicht nur die Schließmuskeln werden stärker, auch die Mitte formt sich. Ein toller Nebeneffekt!
- Setz dich auf ein Reiskissen und stellen sich vor, du wolltest ein Reiskorn mit aller Kraft hochheben, als wäre dein Beckenboden ein Finger.
- Bringe Mund und Beckenboden zum Lächeln. Ist der Beckenboden verspannt, sind es auch meist die Kiefergelenke, denn hier besteht eine ganz enge Verbindung. Ein breites Lächeln entspannt die Gesichtsmuskeln. Bringe dieses Lächeln gleichzeitig in den Beckenboden, indem du ihn seitlich anheben wie Mundwinkel.
- Leg dich auf den Rücken und schließe Augen. Stell dir nun vor, dass rund um den Bauchnabel eine Sonne scheint. Im Bauchraum wird es hell und warm. Schicke diese Wärme auch bewusst in den Unterleib zu deinem Beckenboden.
Das Workout für mehr Beckenpower
Halte während der Übungen den Po entspannt – der Beckenboden soll ja die Arbeit übernehmen. Dafür konzentrierst du dich gleichzeitig auf den Unterbauch. Denn Beckenboden und Unterbauch als Einheit sind ein unschlagbares Team!
Balance: Komm auf einer Gymnastikmatte in den Sitz. Die Sitzhöcker verankern sich im Boden. Der Rücken ist lang und aufrecht. Nimm ein gefaltetes Handtuch zwischen die Knie und hebe die Unterschenkel parallel zum Boden an. Löse nun auch die Hände und verlängere die Arme nach vorne. Fließend weiter atmen und diese Position 3 - 5 Atemzüge halten. Zurück in die Ausgangsposition und 5 x wiederholen.
Beckenlift: Leg dich auf den Rücken mit den Füßen an die Wand. Die Knie bildet einen rechten Winkel. Unter dein Gesäß legst du ein kleines Kissen. Hebe nun das Becken an und drücken die Füße fest gegen die Wand. Aktiviere Innenschenkel und Beckenboden. Po locker. 3 - 5 Atemzüge halten, dann das Becken absenken und 5 mal wiederholen.
Entspannte Hüfte: Leg dich rücklings auf eine Matte. Hebe nun die Beine an, kipp die Knie nach außen und halte die Oberschenkel parallel zum Boden. Spüre deinen Beckenboden und eine angenehme Dehnung. Um die Position noch intensiver zu gestalten, kannst du die Hände auf deine Knie legen und diese sanft nach außen ziehen. Die Hüfte wird geöffnet. Halte diese Position solange es dir angenehm ist. Sie schließt dein tägliches Beckenbodenworkout ab.
Erste Hilfe bei Blasenschwäche
Eine gute Nachricht: Die Harnblase kann auch bei bestehender Blasenfehlfunktion ganz einfach wieder trainiert werden. Wichtig ist natürlich zuallererst, ausreichend Flüssigkeit – mindestens 1,5 Liter pro Tag – zu sich zu nehmen. Dann versuchst Du zunächst, den Toilettengang nur um fünf Minuten hinauszuzögern. Wenn du den Oberkörper im Sitzen leicht nach vorne neigst, lässt der Harndrang etwas nach.
Im nächsten Zug hebst du nach jedem Toilettengang den Beckenboden an, wenn du deine Hose schließt. Stell dir vor, im Beckenboden befindet sich ein weiterer Reisverschluss. Bereits nach mehrmaligem Wiederholen wirst du kleine Erfolge verzeichnen können.